Leseecke – der gemütlichste Ort der Welt
Was ist eigentlich aus der altgedienten Leseecke geworden? Langsam wird es leise um den gemütlichsten Platz des Hauses. Zu Unrecht, finden wir. Zeit für ein Plädoyer zur Wiederauferstehung der Leseecke.
Warum Leseecken verschwinden
Die Erklärung mag banal klingen: Die Leseecke, dieser dedizierte Ort des Buchvergnügens, fällt wie so manches andere der Digitalisierung zum Opfer. Gelesen wird am PC, Tablet oder Laptop am Schreibtisch oder der Wohnzimmercouch. Die Leseecke war ein Ort des Rückzugs, ein Separee für Imaginäres und Stilles. Unsere Imagination ist dem Expliziten, Digital-Bildlichen gewichen. War das Lesen früher noch ein temporärer Rückzug aus der Geselligkeit, ist der Rückzug ins Digitale mittlerweile immer mehr der als Schritt in eine neue Öffentlichkeit zu werten. Still ist er nur für Außenstehende. Während das Lesen eines guten Romans eine Pause vom Alltag war, um ihn anschließend zu bereichern, ist Bildschirmzeit der neue Alltag.
Leseecken sind out
Lesen oder zumindest gucken ist omnipräsent und nicht mehr zeitlich oder örtlich gebunden. Der Trend geht jedoch dahin, möglichste vieles in jedem Raum des Hauses tun zu können. Das Smarthome trägt dazu bei, dass manche Raumkategorien, wie zum Beispiel die Leseecke zu verschwimmen drohen. Per Knopfdruck lassen sich in jedem Knopfdruck die passenden Gegebenheiten zum Musikhören, Schlafen, Lesen oder Arbeiten herstellen. Leseecken stehen diesem Trend entgegen.
Warum die Leseecke gebraucht wird
Gerade jetzt, da unser Bewegungsspielraum eingeschränkt ist und sich unser Erleben durch den eingeschränkten Aktionsradius weniger ereignisreich und inspirativ anfühlt, gewinnt die Leseecke an Relevanz. Der Corona-Stress verlangt nach einer gewissen Dosis Alltagsflucht. Was könnte sich da besser eignen als das Erlebnis im Innern zu suchen, in Büchern und der eigenen Phantasie?
Die Leseecke ist ein Ort, an dem zurückgelassen wird, was zieht und zerrt. Ein Ort, der so wohlig und weich ist, dass sich das Abtauchen in den eigenen Geist wie von allein vollzieht. Die Leseecke ist besonders, weil sie für eine Tätigkeit reserviert ist. Die meisten Orte geben lediglich vor, nur einem Zweck zu dienen. Diese spezielle Widmung eines Teilraums ist vielleicht antiquiert – wohltuend und entspannend ist sie dennoch. Ein paar Quadratmeter, die zu nichts als deinem Verlangen dienen, dich in einer guten Geschichte zu verlieren.
Wie die perfekte Leseecke aussehen könnte
Im Idealfall hast du noch ein kleines Turmzimmer mit Rundumsicht oder zumindest einen Altbauerker übrig. Falls nicht, baust du dir deine Leseecke am Schlaf- oder Wohnzimmerfenster. Eine matt glänzende Messinglampe und ein alter, weicher Ohrenbackensessel am Rande der Balkontür pflegen die anachronistische Gemütlichkeit, die von klassischen Leseecken ausgeht. Ein kleiner gusseiserner Beistelltisch mit Marmorplatte dient als Buch und Teetassenablage. Paneele aus japanischem Reispapier oder ein leichtes Bücherregal für deine Bücherschätze eckt dich ein. Der dadurch entstehende Sichtschutz sorgt für Rückzugspotential und Heimeligkeit. Für die Low-key-Sitzecke eignen sich schulterhohe Zimmerpflanzen und Sitzsack.
Fazit
Leseecken sind zwar out, aber dennoch wertvoll. In ihnen vereint sich Ruhe mit Ereignisreichtum. Grund genug, sie zur Coronazeit wieder aufleben zu lassen. Es ist an der Zeit, den Staub von den alten Lieblingswälzern zu blasen und den Alltag hinter sich zu lassen.