Ukraine-Krieg – Zerstörung von Architektur als Kriegsstrategie?
Seit Wochen von den USA postuliert, nimmt nun ein Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine seinen Lauf. Die Frage, was Putin bewogen hat, diesen endgültigen Schritt zu gehen, bestimmt den politischen Diskurs. Der erste Territorialkrieg in Europa seit Generationen wird mit schrecklichen Folgen für die ukrainische Zivilbevölkerung einhergehen. Neben dem Verlust von Menschenleben wäre auch der Angriff auf kulturelles Gut von unabschätzbaren Konsequenzen für das Selbstverständnis des ukrainischen Volkes, der Identität einer ganzen Gesellschaft. Ihre Zerstörung ist nicht nur ein Kollateralschaden. Ein Angriff auf Kultur, allen voran symbolträchtige Architektur, findet oft bewusst und zielgerichtet statt. Wir wollen der Frage nachgehen, warum das so ist und welches architektonisches Erbe jetzt in Gefahr sein könnte.
Weshalb militärische Ziele nur der Anfang sein könnten
Welche Rolle die historischen Wurzeln des nunmehr seit acht Jahren schwelenden Konflikts einnehmen, wie viel der Entscheidung einen ökonomisch-strategischen Hintergrund hat und inwiefern Putins eigene Biographie ausschlaggebend gewesen sein könnte, wird wohl abschließend nicht zu klären sein und soll auch nicht Gegenstand dieses Artikels sein. Stattdessen beschäftigen wir uns mit den möglichen Folgen von Kulturzerstörung. Zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels greift Russland vorrangig Ziele militärischer Infrastruktur an. Das Ausschalten der ukrainischen Luftwaffe dürfte ein vorrangiges Ziel sein. In den von Putin als unabhängige Volksrepubliken anerkannten Separatistengebieten Donezk und Luhansk wird der Krieg mutmaßlich nicht von langer Dauer sein.
Sollte der Krieg sich auf die gesamte Ukraine ausweiten, bleibt zu befürchten, dass das militärische Vorgehen sich nicht nur gegen die ukrainischen Verteidigungsstellen richten wird. Das psychische „Brechen“ der Zivilgesellschaft durch das Dominieren derjenigen Bereiche, die gesellschaftliche Identität ausmachen, ist eine Jahrtausende alte Kriegsstrategie, die nie an Aktualität verloren hat. Wer einer Gesellschaft ihre Seele nimmt, erzeugt eine Hoffnungslosigkeit, die wehrlos macht.
Diese Rolle spielt das Zerstören von Architektur im Krieg
Im Herzen jeder Gesellschaft stehen ihre kulturellen Errungenschaften. Sie sind das Erzeugnis einer gemeinsamen Geschichte, eines gemeinsamen Verständnisses und wirken ihrerseits identitätsschöpfend. Die Architektur ist ein wichtiger Bereich solcher Errungenschaften. Er zeigt an, wie eine Gesellschaft wohnt und wohnte, in Teilen auch, wie sie sich organisiert, wie sie zusammenlebt und wie sie leben möchte. Historisch bedeutsame Gebäude sind ein Ausdruck dessen, was der Gesellschaft wichtig ist. Sie sind Symbole für kollektive Glaubensbekenntnisse und Kerncharakteristiken einer Gesellschaft und gehen in ihrer Bedeutung weit über ihre sichtbare Nutzung hinaus.
Was uns vergangene Konflikte gelehrt haben
Als der IS in Syrien wütete, zerstörten sie unwiederbringlich Jahrtausende alte architektonische Monumente wie zum Beispiel den antiken Baal-Tempel in Palmyra. Das zerstörte Weltkulturerbe war ein Angriff auf ein Alleinstellungsmerkmal Syriens, eine Quelle von Stolz und Zeugnis einer intakten und florierenden antiken syrischen Gesellschaft.
Der Terroranschlag auf die Twin Towers 2001 in New York war nicht nur ein Anschlag auf Menschenleben, sondern auf das amerikanische Selbstverständnis. Ein Anschlag in New York, dem multikulturellen Zentrum Amerikas und vielleicht der westlichen Welt wiegt aufgrund seiner Symbolhaftigkeit anders als ein Anschlag auf eine andere amerikanische Großstadt. Mit dem ehemaligen World Trade Center trafen die Anschläge ein ebenso bedeutungsaufgeladenes Gebäude. In einem Land, in dem das wirtschaftliche Schaffen ein vieles überstrahlender gesellschaftlicher Wert ist, war der Anschlag auf das wirtschaftliche Zentrum der USA und der westlichen Welt ein Angriff auf eben diesen und eine Gesellschaft, die sich an ihm orientiert. Die Twin Towers waren ein Symbol der Kraft und des Fortschritts. Ihre Zerstörung wog auch jenseits des Verlusts von Menschenleben schwer und hatte weitreichende Folgen für das amerikanische Selbstverständnis, ihre Rolle in der Welt und unsere Perspektive auf Amerika.
Welche Ziele es in der Ukraine treffen könnte
Noch ist nicht absehbar, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickeln wird. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch hier der Krieg nicht vor symbolträchtiger Architektur halt machen wird. In Kiew wird bereits gekämpft. Würde die Sophienkathedrale mit ihren charakteristischen grünen Kuppeln zerstört, wäre dies ein unersetzlicher Verlust ukrainischer Geschichte. Sie ist ein steinernes Zeitzeugnis ukrainischer Geschichte und hat auch jenseits ihrer Funktion als religiöse Wirkungsstätte Bedeutung.
Ähnliches gilt für ebenfalls für andere Wahrzeichen Kiews wie das Höhlenkloster, dem spirituellen Zentrum der orthodoxen Kirche, das St. Michaelskloster oder die riesige Mutter-Heimat-Statue, das Symbol des Sieges der Sowjetunion über die Nazis. Sie alle sind von Historie durchdrungen und Teil der ukrainischen Identität.
Schwer wöge ebenfalls ein Angriff auf seine Museen, wie das einzigartige Museum das Mystetskyi Arsenal oder das Opernhaus. Sie sind das Forum einer modernen ukrainischen Gesellschaft. Die Zerstörung solcher Symbole und Foren käme einer Lähmung der Gesellschaft, einem nahenden Stillstand gleich.
Quellen und weiterführende Links: reiseuhu.de, www1.wdr.de, zeit.de
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