Wohntrend Micro-Living – Wie viel Platz brauchst du wirklich?
Leben auf kleinem Raum – wofür, weshalb, warum? Lange galt eine einfache Rechnung: Je mehr Geld jemand besaß, desto besser war die Lage und desto größer die Fläche seines Wohnraums. Es gibt viele gute Gründe, dem zu entsagen, von moralischen bis hin zu lebensphilosophischen. Erst die Klimakrise schaffte ein Umdenken, zumindest in Ansätzen. Der daraus hervorgehende Trend ist Micro-Living. Seitdem wird eine Frage heiß diskutiert: Wie viel Platz braucht der Mensch zum Leben?
Kleine Fläche = geringes Wohlbefinden?
Die Frage ist nicht ganz neu. Heute taucht sie vor allem im Zusammenhang mit Sozialleistungen und Haftbedingungen auf. Auch aus der Perspektive des Städteplaners war diese Frage immer relevant. Wo Wohnraum begrenzt ist und Wohnungsnot ein Thema, gilt es, einen besonderen Fokus auf das Schaffen lebenswerten Wohnraums für sozial schwache zu legen.
Vor fast hundert Jahren beantwortete Architekturikone Walter Gropius die Frage nach dem Lebensraum im Zuge der damaligen Weltwirtschaftskrise etwas unkonventionell: „Vergrößert die Fenster, verkleinert die Räume“. Was die Wohnfläche lebenswert macht, ist also nicht nur die reine Fläche, sondern die Perspektive bzw. ihre Wirkung auf uns. Ein zumindest in Teilen nachvollziehbares Argument. Wichtig für unser Wohlbefinden ist unter anderem eine empfundene Freiheit, die auch dort entstehen kann, wo Fläche begrenzt ist. Der Trend zu Micro-Living mag vor allem einer Gesinnung oder ethischen Überzeugung entspringen – unkomfortabel oder das Wohlbefinden einschränkend muss er deswegen noch lange nicht sein. Platz ist mehr als die Anzahl der Quadratmeter.
Deshalb ist Micro-Living so aktuell
Das Jahr 2021 hat uns mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Klimakrise dringendes und umfassendes Handeln erfordert. Klimaschäden können nur mit einem kollektiven Kraftakt abgewendet werden. Einer der größten das Klima beeinflussenden Faktoren ist das Bauen. Für das Bauwesen werden enorme Ressourcen aufgewendet und riesige Mengen an Schadstoffausstoß in Kauf genommen. Unsere Art zu leben wird sich deshalb zwangsläufig verändern müssen. Der gerade in deutschen Gefilden vorherrschende Wunsch nach dem großen, selbst gebauten Eigenheim wird einem effizienteren Wohnen weichen müssen. Anschluss an das Versorgungsnetz und eine ineffiziente Wohnnutzung gemessen an den Einwohnern machen unseren deutschen Traum von „Häuslebauen“ zu einem überholten Lebenskonzept.
Micro-Living ist die Zukunft
Kleiner bauen – Stichwort Tiny-Houses – ist ein Ansatz, aber keine Lösung. Die Zukunft wird uns mehr Wohnungen und kleinere Wohnungen in besonders energieeffizienten Häusern bescheren. Beschränkungen müssen jedoch nicht zwingend als Einschränkungen erlebt werden. Es wird vor allem auf die Architektur ankommen und das, was wir aus dem Platz machen, der uns zur Verfügung steht. Entstehen neue gesellschaftliche Strukturen innerhalb großer Wohnhäuser? Verlagert sich das Leben vom privaten in den öffentlichen Raum? Ob wir uns beengt fühlen, ist auch eine Sache der Einstellung und der Perspektive. Fest steht, das Einrichten wird wichtiger denn je. Vielleicht führt der neue gelebte Minimalismus, den das Micro-Living propagiert, zu mehr Klarheit in unser aller Leben, wer weiß…
Quelle: heise.de